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Teil 3: IT-Strategie entwickeln

Vom Flickwerk zur durchdachten Roadmap
26. Dezember 2025 durch
Teil 3: IT-Strategie entwickeln
Martin Lummertzheim

„IT-Strategie? Dafür haben wir keine Zeit – wir müssen erst mal die aktuellen Probleme lösen!“

Diese Aussage höre ich oft. Aber genau das ist der Denkfehler: Ohne Strategie kämpfen Sie immer nur gegen Symptome, nie gegen die Ursachen. Oder wie ein Kollege mal treffend sagte: „Wir müssen den Zaun reparieren und nicht nur die Hühner einfangen.“

 

Die Realität: Feuerwehr-Modus als Dauerzustand

Kennen Sie diesen Teufelskreis? Montags fällt der Mail-Server aus. Dienstags beschweren sich die Mitarbeiter über die langsame ERP-Software. Mittwochs will die Geschäftsführung ein neues CRM-System. Donnerstags crasht die Backup-Lösung. Freitags fragen alle nach dem Status der Digitalisierung.

Das Problem: Ohne strategische Planung reagieren Sie nur – Sie agieren nie.

 

Was eine IT-Strategie wirklich ist

Eine IT-Strategie ist nicht das, was viele denken. Sie ist nicht:

  • Ein 80-seitiges Dokument von teuren Beratern
  • Ein starres 5-Jahres-Konzept
  • Eine Wunschliste für neue Technologien
  • Ein Projekt für „später, wenn wir Zeit haben“

 

Eine IT-Strategie ist vielmehr die Antwort auf vier zentrale Fragen:

  1. Wo stehen wir heute? (Ist-Zustand)
  2. Wo wollen wir hin? (Soll-Zustand)
  3. Wie kommen wir dahin? (Roadmap)
  4. Was kostet es und was bringt es? (Business Case)

 

Typische IT-Landschaft im Mittelstand

Bevor wir eine Strategie entwickeln, schauen wir uns die Realität an. In den meisten mittelständischen Unternehmen finde ich:

Das „Historische Museum“:

  • ERP-System von 2010, das „eigentlich gut läuft“
  • Excel-Listen für alles, was das ERP nicht kann
  • Verschiedene Insellösungen ohne Integration
  • Server im Keller, die keiner mehr anfassen will

Das „Chaos-System“:

  • Jeder Fachbereich hat seine eigene Software
  • Daten existieren mehrfach in verschiedenen Systemen
  • Passwörter werden per E-Mail verschickt
  • Backups? „Macht der Server automatisch“

Das „Hoffnungs-Portfolio“:

  • Drei angefangene Digitalisierungsprojekte
  • Ein CRM-System, das keiner nutzt
  • Eine Cloud-Lösung, die nicht mit dem ERP spricht
  • Ein Projektleiter, der das alles irgendwie zusammenhalten soll

Kommt Ihnen bekannt vor? Dann wird es Zeit für eine Strategie.

 

Strategieentwicklung in 6 Schritten

Schritt 1: Geschäftsziele verstehen (1 Tag)

Warum wichtig: IT ohne Business-Bezug ist Technik-Spielerei.

Konkrete Umsetzung:

  • Sprechen Sie mit der Geschäftsführung: Was sind die Top 3 Unternehmensziele?
  • Fragen Sie Fachbereiche: Wo drückt der Schuh am meisten?
  • Analysieren Sie Trends: Wo geht die Branche hin?

Praxis-Tipp: Erstellen Sie eine einfache Matrix: Unternehmensziel vs. aktuelle IT-Unterstützung

Schritt 2: IT-Inventur durchführen (2 Tage)

Warum wichtig: Sie können nicht planen, was Sie nicht kennen.

Konkrete Umsetzung:

  • Systeme: Welche Anwendungen nutzen wir?
  • Infrastruktur: Welche Hardware haben wir?
  • Daten: Wo liegen welche Informationen?
  • Prozesse: Wie arbeiten wir heute?
  • Kosten: Was kostet uns die IT wirklich?

Praxis-Tipp: Nutzen Sie ein einfaches Excel-Template statt teurer Discovery-Tools

Schritt 3: Gaps identifizieren (1 Tag)

Warum wichtig: Hier liegt der Handlungsbedarf.

Konkrete Umsetzung:

  • Funktionale Gaps: Was können wir nicht, müssten aber?
  • Performance-Gaps: Was läuft zu langsam?
  • Integrations-Gaps: Was spricht nicht miteinander?
  • Sicherheits-Gaps: Wo sind wir verwundbar?
  • Skill-Gaps: Welche Kompetenzen fehlen uns?

Praxis-Tipp: Bewerten Sie jede Lücke nach Auswirkung (hoch/mittel/niedrig) und Aufwand (hoch/mittel/niedrig)

Schritt 4: Prioritäten setzen (1 Tag)

Warum wichtig: Sie können nicht alles gleichzeitig machen.

Konkrete Umsetzung:

  • Must-have: Was muss sofort gemacht werden?
  • Should-have: Was sollte in den nächsten 12 Monaten passieren?
  • Nice-to-have: Was wäre schön, aber nicht kritisch?

Praxis-Tipp: Verwenden Sie die Eisenhower-Matrix: Wichtig/Unwichtig vs. Dringend/Nicht dringend

Schritt 5: Roadmap erstellen (1 Tag)

Warum wichtig: Ein Plan ohne Termine ist ein Wunschzettel.

Konkrete Umsetzung:

  • Kurzfristig (0-6 Monate): Kritische Probleme lösen
  • Mittelfristig (6-18 Monate): Strategische Projekte starten
  • Langfristig (18-36 Monate): Zukunftsprojekte planen

Praxis-Tipp: Planen Sie nur 70% Ihrer Kapazität – der Rest wird von ungeplanten Aufgaben aufgefressen

Schritt 6: Kommunikation etablieren (1 Tag)

Warum wichtig: Die beste Strategie nützt nichts, wenn sie niemand kennt.

Konkrete Umsetzung:

  • Geschäftsführung: Quartalsweise Status-Updates
  • Fachbereiche: Monatliche Projektberichte
  • IT-Team: Wöchentliche Roadmap-Reviews
  • Alle Mitarbeiter: Jährliche IT-Präsentation

Praxis-Tipp: Erstellen Sie eine A4-Übersicht Ihrer IT-Strategie für alle Stakeholder

 

Praxisbeispiel: Strategieentwicklung bei einem Handelsunternehmen

Die Schmidt Handel GmbH (120 Mitarbeiter) hat ihre IT-Strategie in 4 Wochen entwickelt:

Ausgangssituation:

  • Altes ERP-System ohne Web-Integration
  • Kein Online-Shop trotz B2B-Geschäft
  • Manuelle Prozesse in der Logistik
  • Wachsende Cyberrisiken

Strategieentwicklung:

Woche 1: Geschäftsziele verstehen

Ergebnis: Fokus auf B2B-Online-Geschäft und Prozessautomatisierung

Woche 2: IT-Inventur

Ergebnis: 15 kritische Systeme identifiziert, 8 Integrationslücken gefunden

Woche 3: Gaps und Prioritäten

Ergebnis: 5 Must-have-Projekte definiert

Woche 4: Roadmap und Kommunikation

Ergebnis: 18-Monats-Plan mit klaren Meilensteinen

IT-Strategie auf 2 Seiten:

  • Vision: „Digitaler Vorreiter in unserem Marktsegment“
  • Ziele: 3 konkrete IT-Ziele für 18 Monate
  • Projekte: 5 Hauptprojekte mit Terminen und Budgets
  • Erfolgsmessung: 4 KPIs für IT-Performance

 

Mittelstands-Tipp: Template für Ihre IT-Strategie

Seite 1: Strategie-Überblick

  • IT-Vision: (1 Satz – wohin wollen wir?)
  • IT-Ziele: (3 konkrete Ziele für 12-18 Monate)
  • Erfolgsmessung: (3-5 KPIs)

 

Seite 2: Roadmap

Kurzfristig (0-6 Monate):

  • Projekt 1: [Name] – [Termin] – [Budget]
  • Projekt 2: [Name] – [Termin] – [Budget]

Mittelfristig (6-18 Monate):

  • Projekt 3: [Name] – [Termin] – [Budget]
  • Projekt 4: [Name] – [Termin] – [Budget]

Langfristig (18+ Monate):

  • Projekt 5: [Name] – [Termin] – [Budget]

 

Die häufigsten Fallstricke vermeiden

Fallstrick 1: Zu detailliert planen

Problem: 50-seitige Strategiedokumente verstauben in der Schublade

Lösung: Maximal 2-3 Seiten, dafür konkret und umsetzbar

Fallstrick 2: Ohne Business-Bezug

Problem: IT-Strategie wird als Technik-Wunschzettel gesehen

Lösung: Jedes IT-Projekt muss einen messbaren Business-Nutzen haben

Fallstrick 3: Unrealistische Zeitpläne

Problem: Alles soll sofort passieren

Lösung: Lieber weniger Projekte, aber diese erfolgreich abschließen

Fallstrick 4: Keine Kommunikation

Problem: IT-Strategie bleibt Geheimwissen der IT-Abteilung

Lösung: Regelmäßige Updates an alle Stakeholder

 

Ihr nächster Schritt

Starten Sie diese Woche mit Ihrer IT-Strategie:

Praxis-Check:

  • Kenne ich die Top 3 Geschäftsziele meines Unternehmens?
  • Habe ich eine aktuelle Übersicht aller IT-Systeme?
  • Weiß ich, welche IT-Probleme am meisten kosten?
  • Kann ich die IT-Ziele für die nächsten 12 Monate benennen?
  • Habe ich einen konkreten Projektplan?

 

Wenn Sie weniger als 3 Fragen mit „Ja“ beantworten können, blockieren Sie sich 6 Tage in den nächsten 4 Wochen für Ihre Strategieentwicklung.

 

Fazit

Eine IT-Strategie zu entwickeln ist nicht kompliziert – es erfordert nur strukturiertes Vorgehen. In 6 Schritten und 6 Arbeitstagen haben Sie einen konkreten Plan, der Ihnen hilft, vom reaktiven Feuerwehr-Modus in die proaktive Gestaltung zu wechseln.

Wichtig: Perfektion ist nicht das Ziel. Eine gute Strategie, die umgesetzt wird, ist besser als eine perfekte Strategie, die nie realisiert wird.

Im nächsten Artikel zeige ich Ihnen, wie Sie IT-Risiken systematisch erfassen und bewerten – ohne dass Sie zum Risikomanagement-Experten werden müssen.

Teil 2: Die 5 Säulen der IT-Governance